Mittwoch, 14. Februar 2024

Theaterkritik zu Peter Reul: Die Vorstellung

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Zwischen Dolce Vita, Fremdenhass und Ornithologen

Geschichten aus dem Alltag über alle sozialen Schichten hinweg erzählte der DS-Kurs der MSS 12 unter der Leitung von Herrn Safferling am Donnerstagabend in der Schulmensa und entfachte damit ein Feuerwerk der Emotionen. Ich habe Tränen gelacht, erstarrte vor Schreck und merke nun - die Aufführung ist keine 3 Stunden her - diese Eindrücke werden noch lange nachwirken. Man kann es eigentlich gar nicht genug würdigen, was die Schülerinnen und Schüler da auf die Beine gestellt haben. Noch vor dem finalen Applaus, der mit Sicherheit eine Befreiung für die Schauspieler war, stand also für mich fest: Meine Theaterkritik kann nicht bis morgen warten. Vielleicht gelingt es mir so, zumindest im Ansatz darzustellen, wie sehr mich diese Aufführung berührt hat.

„Wie seltsam und zugleich drollig die Figuren sind“, dachte ich zu Beginn. Sieht man doch schon in der ersten Szene die Nutellaglas-geschädigte Sabine und den blutenden Vogelkundler Bernd vor sich im Wartezimmer einer Arztpraxis sitzen. Seine Kopfverletzung und ihre Krücken warnen vor den Gefahren des Alltags. Doch schnell taucht man in die Tiefen der Metaphorik ein, als der etwas verwirrte Bernd seiner neu gewonnenen Bekannten die Vogelgesänge zeigt und parallel sein Fernglas passend zum Zwitschern im Zickzack durch die Luft bewegt. Ergriffen ahmt Sabine die Bewegungen nach und so verbleiben die beiden in der nicht enden wollenden Bewegung und sorgen dabei für reichlich Amusement. Der Gedanke an Konformität ist darin schon angelegt. Ohnehin kommt er zum Ausdruck, als die beiden engstirnigen AfD-Sympathisantinnen Frau Herzog und Frau Dr. Meisenberg in ihrer Eitelkeit synchron den Staub von ihren Theatersesseln wischen. Begriffe wie „Überfremdung“, die das ein oder andere Mal in ihren Textpassagen fallen, lassen einen an dunkle Zeiten zurückdenken, zeigen aber auf beängstigende Weise, wie aktuell Fremdenhass und Nazi-Vokabular sind. Die Gesellschaftskritik schwingt dabei immer mit, bleibt aber indirekt und wirkt keineswegs aufdringlich oder deplatziert. So bleibt genug Raum für Humor, sei er durch die schrullige Seniorin verkörpert, die dem hochgefährlichen russischen Schurken Wladimir unterstellt, er wolle Enten füttern, oder auch durch den Italiener Mario, der alle Frauen verführt und jede im Gewissen lässt, sie sei die einzige für ihn. Auch meldet sich immer wieder Loriot zu Wort, zumindest im Verborgenen: Bernd, der einen Pirol beobachtet, oder Natascha, die auf der Pferderennbahn „Wo laufen sie denn?“ ruft, lassen einen an den Großmeister der Alltagskomik denken, ohne dabei die Allusion zu sehr ins Zentrum zu rücken. Loriot braucht es hierzu nicht unbedingt. Die überspitzt stereotypisch dargestellten Figuren stehen für sich und sorgen scheinbar mühelos für Heiterkeit. Wie viel Arbeit und Können es aber bedarf, eine Pointe zu platzieren oder auch nur durch Bewegung lustig zu sein, vergisst man leicht. Die Abstinenz ausladender Kulissen erfreut an dieser Stelle, weil sie das Individuum in den Vordergrund stellt und seine Existenz kontrastiert. So wirken die Kostümierung und vor allem die Bewegung der Figuren intensiver. Auf diese Weise entfaltet auch der Schrecken seine Wirkung, als Wladimir Murat an seinem gebrochenen Arm packt und ihn zu Boden zwingt. Die sehr gelungene Bewegung der Figuren und die Tatsache, in welchem Verhältnis sie sich zueinander im Raum befinden, ist dabei sehr eindrucksvoll.

Wie bereits angesprochen, will das Theaterstück nicht nur unterhalten, sondern auch belehren. Gegen Ende, als sich alle Charaktere im Theatersaal einfinden, verschwimmen die Grenzen zwischen Zuschauer und Schauspieler. Man erkennt, dass man die ganze Zeit nur den Spiegel vorgehalten bekommt. Der Zuschauer wird zum Schauspieler. Es meldet sich der Fremde zu Wort, der die ganze Zeit über auf der Bühne sitzt und das Skript verfolgt. Man selbst wird buchstäblich vorgeführt, als er den Figuren erklärt, sie seien Schauspieler. Die Botschaft, dass wir alle eine Rolle spielen, kommt an und hinterlässt ihre Spuren. Man denkt darüber nach, wie man selbst oft nicht man selbst ist, sondern dazu neigt, sich der Konformität zu beugen. Dieser Gedanke geht in „Die Vorstellung“ aber stets Hand in Hand mit dem Humor, was das Thema im Allgemeinen zugänglicher macht. Die anmutige Kunstfertigkeit, mit der die Schüler dieses Stück mit viel Eigenleistung umsetzen, begeistert durchweg. Zuletzt bleibt nicht mehr zu sagen als „Bravo!“.

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  • geschrieben von: Christian Schirmer (MSS 12)

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