Warum immer Bücher von (meist) verstorbenen Menschen lesen? Wie soll man denn wissen, was die sich so gedacht haben? Haben die sich überhaupt so viele Gedanken gemacht, wie die Lehrer immer versuchen zu vermitteln?
Aus all den Gründen, die Schüler so vorbringen können, warum ihnen Deutsch wenig Spaß macht, sollten sie selbst einmal versuchen, etwas zu ersinnen, was bedeutungsvoll und interpretierbar ist. Hierzu beschäftigte sich der Grundkurs Deutsch 12d3 zum Abschluss der schulischen Laufbahn mit Poetry slam. Für alle, die mit diesem Begriff nichts anfangen können:
Ein Poetry-Slam ist ein literarischer Vortragswettbewerb, bei dem selbstgeschriebene Texte innerhalb einer bestimmten Zeit einem Publikum vorgetragen werden. Die Zuhörer küren anschließend den Sieger. Die Veranstaltungsform entstand 1986 in Chicago und verbreitete sich in den 1990er Jahren weltweit. Die deutschsprachige Slam-Szene gilt als eine der größten der Welt.
Als die Skepsis wich, ließen sich die einzelnen Schüler dann doch darauf ein und kamen zu unterschiedlichen, kreativen und interessanten Ergebnissen. Stellvertretend soll hier das Ergebnis von Gloria Timm gezeigt werden. Im Gegensatz zu den üblichen lustigen und fröhlichen Beiträgen, besticht ihr Werk durch Nachdenklichkeit und Ruhe. Aber genau das macht ihn so lesenswert.
Kleinigkeiten (& ihre Folgen) von Gloria Timm
In meinem Praktikum in einer Firma sagte der Chef mir an meinem 3. Tag, ich solle doch bitte morgen wieder ein Kleid anziehen. In der Hose gefalle ich ihm nicht so gut. Zu männlich. Zu forsch.
Nachts auf dem Heimweg vom Bahnhof läuft mir ein junger Mann hinterher und will mir sehr penetrant vermitteln, dass er meinen Arsch wohl „geil“ findet. Aha.
Als er näher kommt und mein schneller Schritt nicht mehr ausreicht um einen gewissen Abstand zwischen ihm und mir zu halten, renne ich los. Er läuft mir nicht hinterher. Gott sei Dank. Und trotzdem renne ich den gesamten Weg nach Hause. So schnell, wie ich sonst nur renne, wenn die Bahn mal wieder Verspätung hat. Natürlich ist es immer nur der Zug in dem ich sitze und nicht der Zug, den ich bekommen muss. Das ist dann ein Moment, da renne ich, so schnell ich kann. Oder eben wenn mir nachts ein Mann hinterherläuft.
Bei solchen Situationen muss fast jeder schlucken. Da sieht fast jeder den Sexismus. Aber in so vielen anderen, viel kleineren, bedeutungslos erscheinenden Situationen, da sieht ihn niemand. Weil da versteckt sich der Sexismus so gut, so hartnäckig, dass es schwer ist, ihn zu erkennen. Besonders, wenn man sich die Augen zuhält.
Dabei sind es genau diese kleinen versteckten Attacken des Sexismus, dieses hinterlistige Biest, die der Grund sind für die Angst. Angst, wieder belächelt zu werden für den eigenen Berufswunsch. Angst, zu kurze, zu freizügige, zu keine-Ahnung-was Klamotten anzuziehen. Angst, bloßgestellt zu werden, wieder in eine Rolle hineingezwängt zu werden, die man nicht ausfüllen möchte. Angst, die irgendwann zu Frustration wird. Frustration darüber, sich wieder für seine Interessen verteidigen zu müssen. Frustration darüber, sich wieder aus dem Stereotyp kämpfen zu müssen, sich unter Beweis stellen zu müssen. Wieder und wieder. Frustration darüber, wieder auf sein sexuelles Potential reduziert zu werden. Frustration. Frustration und Angst. Das ist er, der Sexismus.
Und er zwingt mich dazu zu sagen: Ja, der Feminismus nervt manchmal, aber eben zu Recht.